Was bis jetzt passierte:

Essen, erbrechen, Partys und Alkohol bestimmen das Leben der vierzehnjährigen Mirjam. Die Magersucht beherrscht ihr Leben. Es ist eine Qual für sie. Unkontrolliert isst sie in sich herein, um gleich nachher wieder alles zu erbrechen. Psychisch ist sie am Boden und will ihrem Leben ein Ende machen. Nach einer durchzechten Nacht schlägt sie die Bibel auf. Zum Glück.

An jenem Abend stösst Mirjam zufällig auf den Vers der Bibel: «Suchet, so werdet ihr finden.» Bis zu diesem Zeitpunkt war ihr Interesse an Gott, Glaube und Kirche weg. Doch diese Aussage der Bibel gibt ihr Hoffnung, das Gebet neuen Mut. Doch dann fällt alles wieder zusammen. Die Sucht wird schlimmer. Sie will aussteigen, aufhören. Alle Bemühungen bleiben ohne Erfolg. Keine Chance, keine Hoffnung von der Sucht loszukommen. Am Tiefpunkt ihres Lebens spricht sie mit ihrem Vater. Sie will Hilfe, ja sie muss Hilfe haben, um überleben zu können.

«Seit jenem Abend nach der Party ist mein Interesse am Lesen der Bibel wieder wach. Es kann doch nicht Zufall sein, sage ich mir immer wieder, dass ausgerechnet der Vers „suchet, so werdet ihr finden…“ vor mir lag, als ich die Bibel öffnete. Auch höre ich mir wieder Predigten an. Was mich vor kurzem noch abgestossen hat, beginnt mich wieder zu interessieren. Ich wage wieder zu beten. Zaghaft. Ich bitte Gott, konkret in mein kaputtes Leben einzugreifen.

Es ist auf dem Weg zur Sonntagspredigt. Mein Entschluss steht fest: Ich will mein Leben neu Gott anvertrauen. Und mir ist, als hätte Gott in diesem Moment tatsächlich in mein Herz zurückgefunden. Ein Zustand, den ich nicht mehr ändern wollte, egal was passiert.

Es geht mir jetzt entschieden besser. Aber es ist noch lange nicht alles gut. Sechs Monate war ich gefangen in meiner Magersucht und sechs Monate sind jetzt vergangen seit dem Entschluss, mein Leben wieder Gott anzuvertrauen. Da holt es mich wieder ein. Ich will mich über mein Gewicht definieren, ich will wieder abmagern. Alles wird noch schlimmer, als es früher war. Nach jedem Essen will, ja muss ich erbrechen. Es ist zum Zwang geworden. Ich fülle den Magen, stopfe in mich hinein. Dann wieder aufs WC. Alles erbrechen. Bis fünfmal täglich. Ich habe Angst. Angst vor mir selber, Angst, dass es jemand merkt. Ich schäme mich vor mir selber. Ich fühle mich schuldig. Nach jedem Erbrechen will ich aufhören mit diesem Unsinn. Aber es geht nicht. Mir wird klar: Ich kann nicht mehr einfach so aufhören. Ich bin gefangen. Gefangen in einer Sucht. Ich brauche Hilfe. Ich bin am tiefsten Punkt meines Lebens.

Auf einem langen Spaziergang erzähle ich alles einem meiner Brüder. Er hört zu. Von vielem, was in meinem Leben abgeht, weiss er nichts. Mein Versteckspiel hat funktioniert. Aber wie soll er mir helfen? Ich soll mit meinen Eltern sprechen, so sein Ratschlag.

Ich bin bereit, mir helfen zu lassen und gehe zu meinem Vater. Es ist ein langer Spaziergang. Ich rede, schweige, rede wieder, bin bedrückt und doch gewissermassen erleichtert zugleich. Aber was jetzt? Erstaunlich. Es kommt kein Vorwurf vom Vater. Er überrascht mich mit der Frage: „Glaubst du an Gott, glaubst du an Jesus? Glaubst du auch, dass er dir helfen kann?“ Ich bin selber überrascht von meinem spontanen aber überzeugten „Ja“. Ich will Gott drei Tage Zeit geben, um sichtbar in mein Elend einzugreifen. Klappt es nicht, will ich in die Klinik. So mein Entschluss. Wir beten zusammen. Auf dem Weg nach Hause schweigen wir.

Es ist bereits später Abend. Mit der offenen Bibel kommt mein Vater zu mir ins Zimmer. Seltsam, meint er. Gerade sei er auf diesen Vers gestossen: „Ich habe dein Gebet gehört und deine Tränen gesehen, ich will dich gesund machen, in drei Tagen wirst du wieder in den Tempel des Herrn gehen.“ Es ist, als würde mich ein warmer Strom durchfluten. Dieser Satz trifft mich mitten ins Herz. Eine neue, starke Hoffnung auf eine Beziehung zu einem lebendigen Gott erfüllt mich. Diese Bibelstelle hallt noch lange in mir nach und lässt mich nicht mehr los. Tatsache bleibt: Von diesem Moment an musste ich nicht mehr erbrechen. Ich kann gar nicht mehr erbrechen, es ist, als stünde eine unsichtbare Mauer ums WC. Trotzdem, es ist noch ein längerer Weg bis zu meiner vollständigen Heilung. Ich muss wieder lernen, mich als Frau anzunehmen, so wie ich bin. Das Gewicht ist nicht mehr das Mass meiner Zufriedenheit. Echte Schönheit ist mehr als mager zu sein. Ich muss auch wieder lernen, normal zu essen und normal zu leben. Warum Gott nicht alles in einem Augenblick vollständig geheilt hat, weiss ich nicht. Aber ich weiss, dass ich heute mit meiner Familie ein normales und zufriedenes Leben führen kann. Mit allen zum Leben gehörenden Herausforderung. Gott sei Dank.»

Mirjam Portrait
Mirjam Eggimann